Schweiz

Abstimmungsbeschwerde gegen Frauenrentenalter 65 entfacht Streit um Gleichstellung

Doch Frauenrentenalter 64?

«Höchst konservatives Frauenbild» – AHV-Fail entfacht Streit um Gleichstellung

· Online seit 09.08.2024, 04:45 Uhr
Die Grünen wollen mit einer Abstimmungsbeschwerde die Frauen wieder ein Jahr früher in Rente schicken. Die Präsidentin der FDP Frauen des Kantons Zürich kritisiert dies als rückständig. Eine Beschwerdeführerin widerspricht.
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Knapp zwei Jahre nach dem Ja des Stimmvolks zur AHV 21 wollen die Grünen das Rentenalter 65 für Frauen platzen lassen. «Holen wir das verlorene Rentenjahr zurück!», fordern die Grünen. Bis am Freitag reicht die Partei in den Kantonen Zürich und Genf eine Abstimmungsbeschwerde gegen die AHV 21 ein. «Jetzt, wo klar ist, dass es der AHV besser geht als gedacht, ist das die Gelegenheit, uns ein ganzes Jahr Rente zurückzuholen!», schreiben die Grünen.

Auslöser ist die Bombe, die der Bund am Dienstag platzen liess: Bei den Ausgaben der Alters- und Hinterlassenenversicherungen hatte er sich um rund vier Milliarden überschätzt. Auch die SP Frauen kündigten deshalb an, eine Beschwerde zu prüfen.

Als das Volk die Vorlage für das Rentenalter 65 im Jahr 2022 knapp annahm, mussten Linke und Gewerkschaften eine bittere Pille schlucken. Sie nahmen das Resultat aber zum Anlass, eine Gleichstellungsoffensive zu fordern. «Gleichstellung jetzt, aber richtig!», lautete etwa der Ruf des Gewerkschaftsdachverbands Travailsuisse. So müsse die Lohndiskriminierung konsequent bekämpft werden und Berufe, die mehrheitlich Frauen ausübten, müssten aufgewertet werden. Dass die Grünen Frauen wieder ein Jahr früher als Männer in Rente schicken wollen, stösst als Attacke gegen die Gleichstellung auf Kritik.

«Das war's dann, liebe Frauen»

«Es erzähle mir nie mehr jemand über die Gleichberechtigung der Frauen. Das war's dann, liebe Frauen», schreibt ein User auf X. Ein weiterer merkt an: «Das Gleichheitsgebot gebietet gleiches Rentenalter und natürlich allgemeine Wehrpflicht auch für Frauen.» Ein User kritisiert: «Gleichberechtigung immer nur zum Vorteil der Frauen, sonst nicht!» Wenn schon, müsse auch das Rentenalter der Männer gesenkt werden.

Bürgerliche Politikerinnen schliessen sich der Kritik an. Bettina Balmer, FDP-Nationalrätin und Präsidentin der FDP Frauen des Kantons Zürich, reagiert gegenüber ZüriToday mit grossem Erstaunen. «Hatten die Grünen zu heiss, als sie das entschieden?», sagt sie. Auch ein Minus von vier Milliarden sei noch ein riesiger Betrag, welcher der AHV fehle und rechtfertige nicht, die Abstimmung über das Rentenalter 65 zu wiederholen.

Besonders überrascht Balmer, dass «ausgerechnet die Grünen» das Rad zurückdrehen wollen. Gerade bei den Grünen hätte sie ein solch rückständiges Frauenbild nicht erwartet. «Mit ihrer Forderung, Frauen wieder bereits mit 64 in Rente zu schicken, zementieren sie ein höchst konservatives Frauenbild.» Dabei heisse Gleichberechtigung auch gleich langes Arbeiten für beide Geschlechter. «Alles andere ist letztes Jahrhundert.»

«Es geht hier um Ausbeutung»

Privatpersonen reichen die Abstimmungsbeschwerde im Namen der Grünen ein. Eine davon ist die Zürcher Nationalrätin Katharina Prelicz-Huber. In der Forderung, das Rentenjahr der Frauen zurückzuholen, sieht sie keine Attacke gegen die Gleichstellung der Frauen. Es gehe hier nicht um Gleichstellung, sondern eher um Ausbeutung, sagt Prelicz-Huber. «Wir arbeiten für weniger Lohn gleich lang wie die Männer und erhalten dafür keinen Cent mehr– das ist eine unglaubliche Frechheit.»

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Seit dem Ja zum Rentenalter 65 für Frauen ist laut Prelicz-Huber in Sachen Gleichstellung nichts passiert. «Ich muss jedes Mal lachen, wenn ich die netten Sprüche höre, dass das höhere Rentenalter Gerechtigkeit bringe.» Manche linke Frauen argumentierten aus schlechtem Gewissen damit. «Weil sie ansonsten den Rentenabbau bei den Frauen nicht hätten begründen können.» Bis Frauen den gleichen Lohn für die gleiche Arbeit erhielten und Frauenberufe aufgewertet würden, sei es noch ein langer Weg.

Prelicz-Huber schätzt die Erfolgschancen der Abstimmungsbeschwerde als «sehr intakt» ein. Sie führt dies auf das hauchdünne Ja der damaligen Abstimmung und die «total geänderten» Voraussetzungen aufgrund des Zahlendebakels des Bundes zurück. 2019 hob das Bundesgericht die Abstimmung über die Heiratsstrafe auf, weil der Bund in den Abstimmungsunterlagen mit falschen Zahlen operiert hatte. «Wenn das Bundesgericht gleich entscheidet, müssen wir mit der Beschwerde gewinnen», sagt Katharina Prelicz-Huber überzeugt.

veröffentlicht: 9. August 2024 04:45
aktualisiert: 9. August 2024 04:45
Quelle: ZüriToday

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