Schweiz

Ein Psychologe erklärt, warum Homeoffice-Verbote keine gute Idee sind

Verschärfung

Ein Psychologe erklärt, warum Homeoffice-Verbote keine gute Idee sind

· Online seit 20.09.2024, 17:19 Uhr
Amazon macht Schluss mit Homeoffice. Ab Januar müssen sämtliche Mitarbeitende wieder an allen Tagen der Woche im Büro erscheinen. Ob Arbeitnehmenden in der Schweiz ein ähnlicher Trend droht und wie produktiv wir im Homeoffice tatsächlich sind, erklärt ein Experte.
Lia Perbo / watson
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Tech-Gigant Amazon sorgte kürzlich für Aufsehen mit einer umstrittenen Entscheidung: Ab Januar 2025 müssen alle Mitarbeitenden des Unternehmens wieder an allen Tagen in der Woche ins Büro kommen. Die Begründung: Das gemeinsame Arbeiten sei effizienter und schweisse die Teams mehr zusammen, sagt CEO Andy Jassy.

Auch in der Schweiz scheint Homeoffice Firmen zunehmend ein Dorn im Auge zu sein. So sah sich etwa der Lifthersteller Schindler unlängst in der Kritik, nachdem das Unternehmen seinen Mitarbeitenden erklärte, sie dürften künftig nicht mehr von zu Hause aus arbeiten. Mit zwei Tagen Vorlaufzeit. Und obwohl davor in gewissen Abteilungen bis zu 100 Prozent Heimarbeit möglich gewesen war.

Homeoffice aus Sicht der Psychologie

Die Radikalität solcher Massnahmen stösst bei Experten auf Unverständnis. Johann Weichbrodt, Organisationspsychologe an der Fachhochschule Nordwestschweiz, forscht seit Jahren zum Thema Homeoffice. Er ist überzeugt, dass Unternehmen gut daran tun, ihren Mitarbeitenden flexibles Arbeiten zu ermöglichen. «Mitarbeitende sind zufriedener, wenn sie zumindest die Möglichkeit haben, von zu Hause aus zu arbeiten. Wir Menschen schätzen Autonomie und fühlen uns besser, wenn wir selbst entscheiden können», erklärt Weichbrodt im Interview.

Bei Amazon hingegen soll künftig niemand mehr selber entscheiden können. In seiner Mail an die Belegschaft schreibt Andy Jassy, das Unternehmen habe sich immer bemüht, «sehr kluge, urteilsfähige, erfindungsreiche, umsetzungsstarke und missionarische Mitarbeitende» einzustellen. Wie «Die Zeit» schreibt, hätte Jassy gerade so gut sagen können, er wolle nur die Besten behalten. Mit der Annahme, «die Besten» seien nur im Büro anzutreffen, könnte er allerdings weit danebenliegen. Studien belegen nämlich, dass man zu Hause tendenziell mehr leistet als im Büro. Nicht nur Arbeitnehmende selbst, sondern auch Vorgesetzte schätzen die Leistung im Homeoffice als leicht besser ein.

Neben der Produktivität gibt es weitere Vorteile des Homeoffice. Flexibles Arbeiten erleichtert es den Mitarbeitenden, die vielfältigen Anforderungen von Beruf und Privatleben besser zu organisieren. Auch der Arbeitsweg spricht aus psychologischer Sicht für das Homeoffice: Vor allem das tägliche Pendeln mit dem Auto gilt als erhebliche Stressquelle. «Jeder eingesparte Pendeltag geht auf das Konto der Gesundheit – als Pluspunkt», betont Weichbrodt.

Homeoffice ist also gut – aber nicht nur. Arbeitet man zu viel «remote», steigt die Gefahr, dass man vereinsamt und sich isoliert. Das Optimum liegt laut dem Experten bei rund zwei bis drei Tagen pro Woche.

Um die Chancen von Homeoffice möglichst gut zu nutzen, empfiehlt Weichbrodt Arbeitgebern einen teambasierten Ansatz. Anstatt im gesamten Unternehmen starre Regeln durchzusetzen, sollten Führungskräfte mit ihren Teams besprechen, welche Bedürfnisse und welche Erwartungen an Präsenz oder Erreichbarkeit bestehen. Dass man sich gemeinsam verständigt hat, fördert die Teamdynamik und steigert das Engagement der Mitarbeitenden.

Kein Rückkehrtrend in der Schweiz

Trotz der Aufregung um den radikalen Entscheid bei Schindler sieht Weichbrodt in der Schweiz keinen allgemeinen Trend zurück zur reinen Präsenzarbeit. Die Arbeitsmoral sei hierzulande sehr hoch, was viele Unternehmen dazu veranlassen sollte, eher auf Flexibilität zu setzen. «In der Schweiz ist Arbeit für viele Menschen zentral, und das Commitment ist überdurchschnittlich hoch – eigentlich ideale Voraussetzungen für Arbeitgeber», so der Organisationspsychologe. In Zukunft würden Mitarbeitende eher mehr Flexibilität erwarten, und Unternehmen sollten sich darauf einstellen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Ob Firmen, die zu einer restriktiveren Handhabung zurückkehren, dies aus Mangel an Vertrauen in ihre Mitarbeitenden tun oder aus anderen Gründen, sei dahingestellt. Aus Sicht der Forschung scheint es jedenfalls wenig Gründe zu geben, die dafür sprechen.

veröffentlicht: 20. September 2024 17:19
aktualisiert: 20. September 2024 17:19
Quelle: watson

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