Schweiz

Heimatschutz als Kampfzone gegen die Biodiversitätsinitiative

Abstimmung

Heimatschutz als Kampfzone gegen die Biodiversitätsinitiative

· Online seit 01.09.2024, 09:27 Uhr
Bei der Biodiversitätsinitiative geht es nicht nur um Artenvielfalt. Sie fordert auch die Bewahrung schutzwürdiger Ortsbilder. Damit macht sie sich zusätzlich angreifbar.
Peter Blunschi / watson
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Der offizielle Titel der Volksinitiative lautet «Für die Zukunft unserer Natur und Landschaft». In der Tat dreht sich der Abstimmungskampf um die Biodiversitätsinitiative in erster Linie um die Frage, wie der Artenschwund gestoppt werden kann. Dieses Anliegen stösst in der Bevölkerung auf Anklang, wie die ersten Umfragen zeigen.

Oft übersehen wird jedoch, dass es den Initianten nicht nur um Bachforellen, Wildbienen oder Blumenwiesen geht – sondern ebenso um den Heimatschutz. Nicht nur sollen Ortsbilder, geschichtliche Stätten sowie Natur- und Kulturdenkmäler bewahrt, sondern «das baukulturelle Erbe auch ausserhalb der Schutzobjekte geschont werden».

In einer Zeit zunehmenden Wohnungsmangels erzeugt dies eine zusätzliche Angriffsfläche. Der Verband der Immobilienwirtschaft (SVIT) bezeichnet die Biodiversitätsinitiative als «Trojanisches Pferd». Sie verschärfe «die heute schon vielfältigen Baublockaden» und gefährde damit «den Bau von dringend benötigten Wohnungen in der ganzen Schweiz».

Inventar strenger anwenden?

Demzufolge lehnt auch der Baumeisterverband die Initiative ab. Nach Ansicht der «Handelszeitung» sind bei einer Annahme der Initiative am 22. September «die Risiken gross, dass sich die Wohnungsknappheit verschärft». Stein des Anstosses ist das Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz von nationaler Bedeutung (ISOS).

Es wird nach Ansicht der Baubranche schon heute zu rigid angewendet. Und bei einem Ja zur Biodiversitätsinitiative dürften die Hürden noch höher werden. «Ich kann bestätigen, dass bei einer Annahme der Initiative die Anwendung des ISOS strenger würde», sagt Maria Lezzi, Direktorin des Bundesamtes für Raumentwicklung (ARE), der NZZ.

Auch Strombranche dagegen

Das birgt Zündstoff, denn die Initianten müssen sich bereits mit der Strombranche herumschlagen. Diese fürchtet, dass bei einem Ja zur Initiative der Ausbau der erneuerbaren Energien und damit die Umsetzung des erst im Juni vom Stimmvolk klar angenommenen Stromgesetzes, auch bekannt als Mantelerlass, beeinträchtigt würde.

Der Verband Schweizerischer Elektrizitätswerke (VSE) hat sich dem Komitee gegen die Biodiversitätsinitiative angeschlossen. Die Initianten kontern die Befürchtung mit einem Rechtsgutachten. Das Parlament könne demnach bei der Umsetzung eine Regelung schaffen, die den Schutz der Biodiversität mit dem Mantelerlass in Einklang bringe.

Solarausbau erschwert

Allerdings «funkt» auch in diesem Fall der Heimatschutz dazwischen. Er hat wiederholt gegen Solaranlagen auf seiner Ansicht nach schützenswerten Bauten opponiert. watson hat den Fall einer Scheune in Zürich-Witikon dokumentiert, deren Dach sich für die Produktion von Solarstrom bestens eignen würde. Doch der Heimatschutz hat Rekurs eingelegt.

Denn die Scheune steht in einer ISOS-A-Zone, und damit ist die Solaranlage für Martin Killias, den Präsidenten des Schweizer Heimatschutzes, «eine Provokation». Falls die Anwendung des ISOS bei einem Ja zu Initiative strenger würde, wie das zuständige Bundesamt erklärt, wäre nicht nur der Immobilien-, sondern der Solarausbau erschwert.

Themen gemeinsam geregelt

Beides sind «Killerargumente», die einem Volksbegehren zum Verhängnis werden könnten, das sich der biologischen Vielfalt verschrieben hat. Man fragt sich, warum sich die Initianten nicht darauf beschränkten, sondern sich mit dem Ortsbildschutz eine zusätzliche Gegnerschaft eingehandelt haben.

Die Verbindung von Natur- und Heimatschutz sei «nur konsequent», erwidert Manuel Herrmann, Sprecher der Biodiversitätsinitiative. In Artikel 78 der Bundesverfassung, den die Volksinitiative ergänzen will, würden beide Themen gemeinsam geregelt – ebenso im Gesetz. Der Einbezug verschiedener Verbände mache die Kampagne «schlagkräftiger».

Baubranche «nicht sehr aktiv»

«Wir nehmen die Baubranche im Abstimmungskampf als nicht sehr aktiv wahr», sagt Herrmann. «Sie ist auch nicht einer Meinung.» Er verweist darauf, dass der Ingenieur- und Architektenverein SIA die Initiative befürwortet, ebenso das Magazin «Hochparterre». Die Nein-Allianz inklusive Umweltminister Albert Rösti versuche, «sich auf den Heimatschutz zu konzentrieren, weil ihnen aufgrund des schlechten Zustands der Biodiversität in der Schweiz die Argumente ausgehen».

Der Hauptfokus der Ja-Kampagne liege «auf unseren Lebensgrundlagen, die wir mit der Initiative erhalten wollen», sagt Herrmann. Ob diese Strategie aufgeht oder ob sich das Initiativkomitee nicht doch zu viele «Feinde» gemacht hat, zeigt sich in dreieinhalb Wochen.

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veröffentlicht: 1. September 2024 09:27
aktualisiert: 1. September 2024 09:27
Quelle: watson

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