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Der EV Zug und die Rückkehr zum Realismus

EV Zug

Projekt-Nachwuchs vorbei? Zugs Rückkehr zum Realismus

· Online seit 10.09.2024, 17:10 Uhr
Unter dem klugen Präsidenten Hans-Peter Strebel wollte Zug neue, revolutionäre Wege gehen und Titel dank Nachwuchsförderung und sportwissenschaftlichen Erkenntnissen gewinnen und verteidigen. Die Revolution ist zu Ende. Nun ist der nächste Titel gefragt. Egal wie.
Klaus Zaugg / watson
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Im Sommer 2014 gründen die Zuger «The Hockey Academy». Sie betonten munter, wie wichtig es ihnen mit der Nachwuchsförderung sei. Die Hälfte des Teams solle dereinst aus dieser Akademie hervorgehen. Ein Meisterteam aus Eigengewächsen, das ist die revolutionäre Ansage.

Zehn Jahre später ist auch der EV Zug von der Realität des Sportgeschäftes eingeholt worden. Von den 27 Kaderspielern hat der EVZ gerade noch neun selbst ausgebildet. Nach wie vor eine respektable Quote, gewiss, aber nach zwei verhältnismässig enttäuschenden Jahren mit der Endstation Halbfinal ist es mehr und mehr einerlei, woher ein Spieler stammt. Hauptsache, er bringt Leistung.

Anders ist beispielsweise der Spielertausch mit Ambri (der vor kurzem noch hochgelobte eigene U20-Nationalspieler Tim Muggli gegen Nando Eggenberger) nicht zu deuten. Und 2022 ist das Farmteam – hier hätten die Talente ans Erwachsenenhockey herangeführt worden – nach sechs Jahren wieder aufgelöst worden. Inzwischen sind aus Zugs Ausbildungs-Romantikern Realisten geworden. Präsident Hans-Peter Strebel hatte nach dem Titel von 2021 in einem Interview gesagt: «Sieben EVZ-Ausländer wird es nie geben.» Zug beginnt neue Saison mit sieben Ausländern (Bengtsson, Carlsson, Hansson, Kovar, Olofsson, Vozenilek und Wingerli).

Es macht Sinn, aus besserer Einsicht hin und wieder die Meinung zu ändern. Das Signal ist klar: Der EVZ bläst zum Angriff, die Kavallerie rückt aus. Die Zuger tun es mit dem bisher talentiertesten und teuersten Team der Vereinsgeschichte. Trainer Dan Tangnes, nach zwei Meistertiteln 2022 noch kurz vor der Zuger Ehrenbürgerschaft, ist gefordert. Zwar läuft sein Vertrag bis 2026. Aber in Zug kann der Meinungs-Wind nicht nur in der Ausländerfrage schnell drehen. In alle Richtungen.

Trainer: Note 8

Benotung 1 bis 10.

In der sechsten Saison hat das Charisma von Dan Tanges ein wenig an Strahlkraft verloren. Er wählte den falschen Assistenten (Lars Johansson, im Dezember entlassen) und schaffte es nicht, seinem Team weiterhin die Stabilität und Gelassenheit zu vermitteln, die so lange die entscheidenden Erfolgsfaktoren waren. Im Februar verloren die Zuger achtmal hintereinander und wirkten zum ersten Mal in der «Ära Tangnes» ratlos und ohne Konzept.

Nur eine Episode oder ein Zeichen an der Wand, dass die Autorität des Meistertrainers von 2021 und 2022 nachgelassen hat? Wir werden die Antwort in diesem Herbst erhalten. Es spricht für Dan Tangnes, dass er die Mannschaft in den Playoffs wieder in die Spur brachte und im Viertelfinal SCB-Coach Jussi Tapola nach allen Regeln der Kunst auscoachte. Aber im Halbfinal gegen die ZSC Lions waren die Zuger chancenlos, ratlos und überraschenderweise auch kraftlos.

Mit Tomas Montén kommt nun ein neuer Assistent, mit dem Dan Tangnes bestens vertraut ist. Er war in Schweden U20-Nationaltrainer, Chefcoach in der höchsten Liga und arbeitete mit seinem neuen Chef einst in Linköping. Ihm obliegt es unter anderem, das miserable Powerplay der letzten Saison (Erfolgsquote 15,33 Prozent, der schlechteste Wert der Liga) zu verbessern. Die Fähigkeiten von Dan Tangnes sind nach wie vor unbestritten. Er geniesst in der Branche europaweit höchstes Ansehen und er war im Sommer er einer der zwei letzten Kandidaten für eine Anstellung als Assistenztrainer in einer NHL-Organisation. In Zug ist die 2022 ausgehandelte vorzeitige Vertragsverlängerung bis 2026 erst jetzt in Kraft getreten. Er weiss: Jeder Trainer hat ein Ablaufdatum. Es kann nicht mehr ausgeschlossen werden, dass seine Amtszeit vor Vertragsablauf enden wird.

Torhüter: Note 10

Leonardo Genoni ist 37 Jahre alt. Na und? Wer an ihm zweifelt, sei daran erinnert, dass er die Schweiz soeben zum zweiten Mal in den WM-Final gehext hat und schon sieben Mal Meister war. Tim Wolf ist auch schon 32. Na und? Er ist Aufsteiger mit Ajoie und Kloten plus Cupsieger mit Ajoie. Beweisführung abgeschlossen, keine weiteren Fragen.

Abwehr: Note 9

Es ist nicht das erste Mal, dass der EVZ drei ausländische Verteidiger beschäftigt. Das war schon 2022/23 der Fall (Adam Almquist, Christian Djoos, Niklas Hansson). Aber noch nie hat ein Team die Saison mit drei ausländischen Verteidigern begonnen. Es ist möglich, dass die Zuger damit zu Trendsettern werden. Weil der Markt an Schweizer Verteidigern so ausgetrocknet ist.

Sportchef Reto Kläy ist der Entscheid leichtgefallen, mit Gabriel Carlsson einen Defensivverteidiger als dritten Ausländer zu verpflichten: Es hat genug offensiv wirkungsvolle Schweizer und kann sich diesen defensiven Luxus eben leisten. Noch nie hatte eine Verteidigung seit Einführung der Playoffs (1986) zumindest auf dem Papier so viel defensive und offensive Qualität. Mehr geht nicht. Wenn Zug nicht Meister wird, so wird das Problem nicht die Verteidigung sein.

Sturm: Note 9,5

Mit Fabrice Herzog, Grégory Hofmann, Mike Künzle, Lino Martschini, Sven Senteler und Dario Simion sind gleich sechs Schweizer ohne weiteres dazu in der Lage 15 Tore zu erzielen. Deshalb kann es sich Reto Kläy leisten, drei Ausländerlizenzen für Verteidiger einzulösen. Aber er ist offensiv nicht ganz sorgenfrei: Hat Jan Kovar seine Krise tatsächlich überwunden? Kann Gregory Hofmann endlich wieder einmal verletzungsfrei durchspielen? Funktioniert Mike Künzle auch ohne Damien Brunner und Luca Cunti?

Unabhängig von den Antworten auf diese Frage wäre weniger als 175 Treffer eine Enttäuschung. Letzte Saison waren es 161 und vorletzte Saison 165. Auch fehlende offensive Feuerkraft hat die Zuger nach 2022 weitere Titel gekostet. In den Meistersaisons 2020/21 und 2022/23 erzielten sie in der Qualifikation 177 bzw. 195 Tore.

Management: Note 9

«Fett und happy» sei die Organisation nach den zwei Meistertiteln von 2021 und 2022 geworden, sagte kein boshafter Kritiker. Sondern der oberste EVZ-Bürogeneral Patrick Lengwiler kürzlich. Die Zuger hatten zuletzt etwas viel Wert darauf gelegt, bei jeder Gelegenheit zu betonen, wie klug und innovativ man doch sei. Es sind eben die Früchte des Ruhmes aus zwei Meisterfeiern, die da heissen Genügsamkeit und Selbstüberschätzung und die jedes noch so gut gemanagtes Sportunternehmen essen muss. Aber das Problem ist erkannt und Besserung gelobt.

Nach wie vor machen Patrick Lengwiler und Reto Kläy fast alles viel richtig und die Kontinuität ist beeindruckend: Patrick Lengwiler amtet seit 2012 als Manager, Reto Kläy seit zehn Jahren als Sportchef und Dan Tangnes beginnt seine sechste Saison. Die Stadionauslastung ist noch immer so hoch (gut 97 Prozent), dass der Klub bis 2027 den Ausbau auf 9000 Plätze anstrebt und über allem wacht mit Hans-Peter Strebel, der mit dem Bau des Hochleistungszentrums OYM und seiner Beharrlichkeit aus Zug eines der besten Sportunternehmen der Schweiz mit einem klaren Profil und einer formidablen Leistungskultur gemacht hat.

Idee, Konzept und Inhalt: Klaus Zaugg. | Redaktionelle Betreuung: Adrian Bürgler, Olivier Meier. | Technische Umsetzung: Nicole Christen, Carlo Natter, Philipp Reich, Jelle Schutter. | Spielerportraits: nationalleague.ch.

veröffentlicht: 10. September 2024 17:10
aktualisiert: 10. September 2024 17:10
Quelle: watson

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