Es war der Schock-Moment der Europameisterschaft, der Kollaps von Christian Eriksen in der EM-Partie zwischen Dänemark und Finnland am Samstag. Der Däne fiel plötzlich vornüber, wurde anschliessend minutenlang auf dem Platz behandelt – sogar reanimiert. Und das internationale TV-Signal, welches auch von SRF übertragen wird, hielt voll drauf.
Nahaufnahmen von aufgelösten Spielern. Von Eriksens weinender Partnerin, welche am Platzrand von Dänemarks Captain Simon Kjaer getröstet wird. Und von Eriksen selbst, der in diesen Augenblicken um sein Leben kämpfte. Dabei hatten die dänischen Spieler extra eine Mauer gebildet, die ihren Teamkollegen vor den neugierigen Blicken des Publikums und der Kameras hätte schützen sollten.
Die TV-Bilder sorgten auf den sozialen Medien national und international für viel Kritik – Voyeurismus wurde den Produzenten der Bilder vorgeworfen.
Bin ich der einzige der sich an der ausbleibenden Umschaltung ins Studio stört oder bin ich zu bünzlig? Ich mein ja nur, spätestens nach dem Beginn der Reanimation, also die Bilder wären wirklich nicht nötig gewesen @SRF .#DANFIN #Eriksen
— Romulus (@romulus_81) June 12, 2021
Mangelte es an Sensibilität?
Auch das SRF, welches die Bilder in die Schweizer Haushalte übertragen hatte, geriet in Kritik. Vor allem, weil die Bilder vor Wiederanpfiff der Partie nach fast zwei Stunden noch einmal in einem Beitrag gezeigt wurden. Man habe mehr als genug Zeit gehabt, sich über die Bildauswahl Gedanken zu machen, schreibt auch CH-Media-Journalist Simon Häring in seinem vielbeachteten Kommentar: «Aber zu sehen ist: alles! Wie Eriksen fällt. Wie die Helfer herbeieilen. Wie die Mannschaftskollegen ihn vor den Kameras abschirmen. Und vor allem: Wie die Kameras die Lücke zwischen den vielen Beinen der Spieler und Helfer finden, und uns einen Blick auf dieses Drama erlauben, das sich abspielt – wie Christian Eriksen wiederbelebt wird.»
Das Schweizer Fernsehen zeigt uns den Todeskampf von Christian Eriksen in Endlosschlaufe. Die Kameras finden die Lücke, die uns einen Blick auf das Drama erlauben, das sich abspielt. Das Bild der Erlösung zeigt SRF leider nicht. #Eriksen #EURO2020 https://t.co/OUJAgCgFpW
— Simon Häring (@_shaering) June 13, 2021
«Im Fussball rechnet man nicht mit so einem Vorfall»
Journalist und Medienkritiker Nick Lüthi, Leiter der «Medienwoche», will mit dem Schweizer Fernsehen nicht so hart ins Gericht gehen: «Man rechnet im Fussball ja nicht mit einem solchen Vorfall. Im Gegensatz zu anderen Sportarten, wie dem Motorsport oder dem Skifahren, wo Unfälle zur Tagesordnung gehören und man eine gewisse Routine hat und die Abläufe vordefiniert sind, was gezeigt wird und was nicht.» Man habe im Fall von Eriksen spontan und in einer Extrem-Situation entscheiden müssen. «Da war wohl also auch eine gewisse Überforderung vorhanden. Ich verstehe, wie es zu diesem Entscheid kommen konnte, auch wenn man jetzt im Nachhinein weiss, dass man es hätte besser machen können.»
Überreagiert das Netz also? «Es ist ein wenig schizophren: Einerseits sieht man in den sozialen Medien in Echtzeit alles, im Guten wie im Schlechten. Andererseits findet da nun die Diskussion statt, was das Fernsehen zeigen darf und was nicht.» Das Fernsehen sei sowieso schon extrem exponiert, so Lüthi weiter. Wenn da noch eine solche Ausnahmesituation hinzukomme, mutierten alle zu Medienkritikerinnen und Medienkritikern. «Es entspricht vielleicht dem Zeitgeist, dass man von den Medien in diesem Moment ein Verhalten erwartet, das fast schon übermenschlich ist.»
Trotzdem begrüsst Nick Lüthi die Diskussion, welche Bilder im Fernsehen gezeigt werden sollen und welche nicht. Das Thema werde nach diesem Vorfall sicherlich auch intern beim SRF noch einmal ausdiskutiert.
(lba)