Ende November brodelte es im Umfeld der Schweizer Nationalmannschaft gewaltig – und dies trotz geschaffter EM-Qualifikation. Was war passiert? Zunächst lief alles so, wie man es sich von Murat Yakins Team gewohnt war. Die Ausbeute der ersten drei Quali-Spiele: Drei Siege, zehn Tore und nur ein einziger Gegentreffer. Obwohl die 1:6-Klatsche gegen Portugal an der WM in Katar nie richtig aufgearbeitet worden war, schien es zumindest so, als ob sich die Schweizer Spieler den Frust von der Seele spielen konnten.
Einige Monate später war vom Selbstverständnis der Schweizer Equipe nicht mehr viel übrig. Aus den restlichen sieben EM-Quali-Spielen resultierte nur noch ein Sieg, immer wieder kassierte die Schweiz kurz vor Abpfiff unnötige Gegentore. Zu denken gab vielen insbesondere, dass die Gegner, die den Schweizern Probleme bereiteten, nicht Spanien, Frankreich oder England hiessen, sondern Belarus, Kosovo oder Israel.
Quelle: Keystone-SDA
Die Schweiz schloss die Qualifikation schliesslich auf Rang 2 ab, dies jedoch fünf Punkte hinter Rumänien und nur zwei Punkte vor Israel. Trotz des erreichten Ziels war der Aufschrei in der Schweiz sowohl bei Fans als auch in der Medienlandschaft gross. Eine renommierte Zeitung titelte beispielsweise: «Eine Vertragsverlängerung mit Yakin kann kein Thema mehr sein.»
Offene Vertragssituation
Entgegen der Erwartungen vieler wurde der Vertrag mit Murat Yakin einige Tage vor der EM-Gruppenauslosung schliesslich verlängert. Der 49-Jährige soll also auch während der Europameisterschaft in Deutschland für die Schweiz an der Seitenlinie stehen. Wie es danach weitergeht, bleibt bis nach der EM offen. Dies beschäftigt Yakin offenbar nicht, wie er am Donnerstag sagt: «Die vertragliche Situation interessiert mich nicht, ich konzentriere mich auf die sportliche Situation und die EM.»
Fussballjournalist Mämä Sykora hat Verständnis für die Vertragsverlängerung mit Murat Yakin. «Es wäre kein idealer Zeitpunkt gewesen, um einen Schnitt zu machen. Es hätte wohl nur wenige potenzielle Kandidaten gegeben, die verfügbar gewesen wären.» Es sei verständlich, dass Yakin nun die Chance erhalte, es mit seiner Mannschaft besser als zuletzt zu machen.
Je nachdem, wie sich die Schweiz an der Europameisterschaft schlägt, sei ein Trainerwechsel nach dem Turnier aber denkbar, meint Sykora. Gerade auch, weil dem Team aufgrund des fortgeschrittenen Alters vieler Spieler ein grösserer Umbruch bevorstehe. «Die Schweizer Nationalmannschaft ist mittlerweile eine der ältesten Nationalmannschaften, die es überhaupt gibt», so der Chefredaktor des Fussballmagazins «Zwölf».
Du willst keine News mehr verpassen? Hol dir die Today-App.
Dass das Verhältnis zwischen Yakin und seiner Mannschaft wegen der offenen Vertragssituation gestört werden könnte, glaubt Sykora nicht: «Die Spieler werden so oder so alles geben – egal, wer an der Seitenlinie steht.»
Das Ruder herumreissen
Trotz der zuletzt enttäuschenden Leistungen der Nati traut Mämä Sykora dem Team zu, dass es nun eine Reaktion zeigt. «Die aufgebotenen Spieler haben durchaus das Potenzial, das Ruder noch vor der EM herumzureissen.» Zu viel erwarten dürfe man in den Spielen gegen Dänemark und Irland aber nicht, es seien halt schliesslich «nur Testspiele».
An der Europameisterschaft müsse Murat Yakins Truppe zwingend anders auftreten als in den letzten Monaten, sagt der langjährige Beobachter der Schweizer Nationalmannschaft. Sykora ist zuversichtlich, dass ihr das auch gelingen wird. «Die Mannschaft kann mehr, als sie zuletzt gezeigt hat. Vom Potenzial des Kaders her müsste sie in ihrer Gruppe um Platz 2 mitspielen. Schafft sie das nicht, ist es enttäuschend.»