Dass es der Bund und die Armee mit der Entsorgung von Waffen und Munition während des 20. Jahrhunderts nicht immer so genau nahmen, ist hinlänglich bekannt. Dass jedoch auch im Luzerner Rotsee Material entsorgt wurde, war bisher weitgehend unbekannt.
Dies ist in mehrfacher Hinsicht speziell. Auf der einen Seite haben Privatpersonen bereits auf diesen Umstand hingewiesen (deshalb die hier vorliegende Recherche) und andererseits wurde in einem politischen Vorstoss der SVP Ebikon darauf aufmerksam gemacht. Und schliesslich werden seit knapp 100 Jahren immer wieder Handgranaten im Rotsee gefunden und auch aktiv danach getaucht, um sie zu entfernen. Und trotzdem schien die exakte Herkunft der Munition im Dunkeln zu liegen. Die Armee selber schrieb kürzlich: «Die Kampfmittel sind Überreste einer Explosion...Eine unbestimmte Anzahl von Handgranaten wurde durch die Wucht auch in den See geschleudert.»
Bei Explosion ins Wasser geschleudert
Bisherige Medienberichte erzählten ebenfalls die Geschichte, dass die Handgranaten des Typ Siegwart DHG 16 bei der Explosion der Munitionsfabrik im Jahr 1916 ins Wasser geschleudert wurden. Der Armeebericht hält wenigstens einschränkend fest: «Weitere Granaten wurden wohl nachträglich im See entsorgt.» Auch PilatusToday schrieb zunächst, dass die Explosion die Ursache der versunkenen Handgranaten sei. Nach Hinweisen aus der Leserschaft führte jedoch ein Besuch ins Bundesarchiv in Bern, wo die Unterlagen zum damaligen Unfall lagern. Und diese Unterlagen bringen erstaunliche Erkenntnisse.
«Es sind im Ganzen in den Rotsee an scharfen Handgranaten versenkt worden: 8’598 Stück»
Der Vorfall ereignete sich am 20. Oktober 1916 kurz nach 16.00 Uhr. Am 29. November 1916 – nach etlichen Vorberichten und Untersuchungen – rapportierte der Geniechef der eidgenössischen Armee an den Chef des Generalstabes. Er legt detailliert dar, wie viel Munition sich vor der Explosion im Magazin befunden hatte – insgesamt 14’436 scharfe Handgranaten – und wie viel nach dem Vorfall noch gefunden werden konnte – 13’118.
Zu diesem Zeitpunkt fehlten also lediglich 1'318 Stück Handgranaten. «Von diesen sind eine unkontrollierbare Anzahl bei der Explosion in den See geworfen worden, einige im Schilf, Sumpf etc. konnten nicht gefunden werden. Die genaue Zahl der explodierten Granaten lässt sich deshalb nicht feststellen, es sind aber höchstens 1'000 Stück gewesen.»
Entscheidend ist jedoch der nächste Abschnitt:
«Wir haben folgende Massnahmen angeordnet: … 3. Die mit Chloratsprengstoff geladenen Handgranaten haben wir entsprechend unserer Meldung ausnahmslos im Rotsee versenkt.»
Und dann der Schlusssatz: «Es sind im Ganzen in den Rotsee an scharfen Handgranaten versenkt worden: 8’598 Stück.» Der Chef des Generalstabes hat dieses Schreiben zur Kenntnis genommen.
Dieser Rapport legt nahe, dass eine Vielzahl der Handgranaten an Land sichergestellt und anschliessend aktiv im Rotsee versenkt wurden. Lediglich ein kleiner Teil der Handgranaten konnte von Anfang an nicht mehr gefunden werden, was den Schluss nahelegt, dass diese tatsächlich bei der Explosion ins Wasser geschleudert wurden.
Explosionsursache unklar
In vielen Medienberichten ist darüber hinaus zu lesen, dass die Explosion durch einen Fehler bei Lötarbeiten ausgelöst wurde. Dies scheint ebenfalls falsch zu sein. Zwar werden die Lötarbeiten in den Berichten über die Explosion erwähnt, aber nicht als Ursache davon. Vielmehr gibt es zwei gängige Theorien, wie die Explosion zu Stande kam. Entweder wurde sie durch die Selbstentzündung des Chlorat-Sprengstoffes verursacht. Oder durch das Losgehen einer Handgranate beim Umpacken.
In jedem Fall, da sind sich die Experten, die 1916 die Unfallstelle untersuchten, sicher, wurde die Explosion im Inneren des Magazins ausgelöst. Die Lötarbeiten fanden jedoch draussen statt. Die Lötarbeiten fallen somit als Erklärung weg.
Die Experten halten jedoch auch fest, dass die Ursache nicht definitiv geklärt werden kann, da es keine «unmittelbaren Zeugen» gibt.