Zentralschweiz

Wenn ein geliebter Mensch Suizid begeht

«Habe tagelang nur geweint»

Wenn ein geliebter Mensch Suizid begeht

19.09.2021, 05:47 Uhr
· Online seit 18.09.2021, 21:26 Uhr
Rebekka* kommen auch nach drei Jahren immer noch sofort die Tränen, wenn sie über den Selbstmord ihres Kollegen spricht. Der Suizid hat ihr Leben die letzten Jahre stark geprägt: Alpträume, Panikattacken und Studiumunterbruch.
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«Du wirst für immer die Beste bleiben.» Diese Nachricht schrieb er ihr am Tag seines Suizides. Es war nämlich nicht einfach nur ein Kollege, sondern auch ihr Exfreund, der nun plötzlich nicht mehr da war. «Ich fand diese Nachricht etwas komisch, wir hatten zuvor zwei Monate keinen Kontakt mehr», erzählt Rebekka unter Tränen.

Sie schrieb ihm zurück, bekam keine Antwort. Sie rief ihn an, bekam keine Antwort. Das machte sie stutzig. Am nächsten Tag erhält sie einen Anruf von einer Freundin, die ihr sagt, dass es im Militär einen Unfall gegeben hätte. Da wusste sie auch ohne den Namen gehört zu haben, dass sie ihren Kollegen nie wieder sehen wird.

Nach einem Anruf beim Bruder, der ihr den Suizid bestätigte, brach sie vollkommen zusammen. «Das war der schlimmste Tag in meinem Leben.» Sie habe tagelang im Bett gelegen und geweint, konnte es einfach nicht verstehen.

Keine Anzeichen für einen Selbstmord

Familie und Freunde hätten auch keine Anzeichen für einen Suizid gesehen. So wie sie auch nicht. Sie weiss, dass er Mühe mit ihrer Trennung gehabt hat. Sie ging für eine längere Zeit nach Amerika und hat die Beziehung deswegen beendet. «Ich habe das sehr bereut und wollte ihn zurück. Er sagte mir dann aber, nochmals so verletzt zu werden, das würde er nicht überleben.» Als sie zurückkam, hatten sie wieder viel Kontakt, waren wie beste Freunde. Dann wollte er Abstand, weil es ihm zu viel wurde. Er sei schon ein sensibler Mensch gewesen, aber dass er sich das Leben nehmen wollte, hätte niemand geahnt.

Doch Rebekkas geliebter Kollege war nun also plötzlich weg und sie hier voller Kummer und Schmerz. «Ich habe mich zurückgezogen, habe fast nichts mehr gegessen.» Kurz nach dem Vorfall begann die heute 22-Jährige ihr Studium in Zürich. Gesundheitswissenschaften und Technologie. «Ich ging jeden Tag in die Uni, aber mir ging es sehr schlecht. Ich konnte nicht darüber reden. War immer den Tränen nahe.»

Therapie hat geholfen

Nach gut drei Monaten hat ihr eine Freundin geraten, in Therapie zu gehen. «Denn ich hatte langsam Angst um mich selbst. Ich hatte zwar keine Selbstmordgedanken, aber ich wollte diese Angst und den Schmerz einfach nicht mehr fühlen.» Die Therapie hätte ihr wirklich geholfen. Es habe gutgetan, mit einer neutralen Person über das Ganze zu sprechen.

Dennoch: Albträume haben ihr noch lange den Schlaf geraubt. Sie habe immer wieder geträumt, wie er sich umgebracht hat. «Nachdem ich lange fast gar nicht geschlafen habe, wechselte es ins andere Extrem. Ich schlief bis zu zwölf Stunden am Tag, ging fast nicht mehr vor die Haustür.»

Freunde und Familie als wichtige Stütze

Ihre WG-Kollegen hätten sie dann wieder aufgebaut. Sie haben für sie oder mit ihr gekocht, klopften ab und zu an ihre Zimmertür, um sich einfach nur mit ihr zu unterhalten, gingen spazieren. «Sie haben gezeigt, dass sie Zeit haben für mich.» Auch ihre Mutter hat sie immer wieder auf Ausflüge mitgenommen und ging mit ihr in die Ferien.

Nach einem Jahr Pause hat sie ihr Studium dann wieder aufgenommen. Gut ging es ihr da aber immer noch nicht. Unter vielen Leuten hat sie noch heute Mühe, manchmal sogar Panikattacken. «Ich habe Panik, dass die Leute mich fragen, wie es mir geht und ich dann vor ihnen weinen muss. Ausserdem macht es mir Angst, dass ich die Geschichte ständig erzählen müsste, wenn ich erkläre, wieso es mir schlecht geht.»

Irgendwann wird es besser

Corona hat ihr da in dieser Hinsicht geholfen. Sie hatte Homeschooling und somit ihr vertrautes Umfeld um sich herum. Und wie geht es Rebekka jetzt? «Es gibt ja den bekannten Spruch <irgendwann wird es besser>. Das tönt am Anfang wie der grösste Scheiss, aber ich muss zugeben, es stimmt schon.» Mit der Zeit lerne man, mit dem Schmerz zu leben. Sie denke jetzt auch viel an die schönen Momente, die sie mit ihrem Exfreund, bestem Freund und Kollegen erlebt hat.

*Name von der Redaktion geändert

(van)

veröffentlicht: 18. September 2021 21:26
aktualisiert: 19. September 2021 05:47
Quelle: PilatusToday

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